Wenn einer Privatsammlung wegen ihres Umfangs und ihrer Qualität ein eigenes Museum gebührt, dann der Kollektion, die der Schweizer Verleger Michael Ringier seit den 1980er-Jahren aufgebaut hat. Obwohl seine Sammlung inzwischen rund 5000 Arbeiten umfasst und sich die Auflistung der darin vertretenen Positionen wie ein »Who‹s who« der zeitgenössischen Kunst liest, hat Ringier bislang darauf verzichtet, seine Schätze in Form eines Museums zu institutionalisieren. Die Jubiläumsausstellung zum dreißigjährigen Bestehen der Kollektion findet nicht etwa in Zürich statt oder mitten in einer deutschen Großstadt. Stattdessen bekam die etwas abgelegene Langen Foundation in Neuss den Zuschlag – nicht zuletzt dank Tadao Andos minimalistischem Ausstellungsgebäude, das Michael Ringier bewundert. Zudem sind die beiden Sammlerfamilien freundschaftlich verbunden. Wade Guyton und Beatrix Ruf, die beiden Kuratoren der Ausstellung, ließen sich vom Motto »Klotzen, nicht kleckern« inspirieren. Rund 500 Arbeiten von knapp 110 Künstlerinnen und Künstlern fügen sich zu einem – großartigen, aber auch einschüchternden – Kaleidoskop der Gegenwartskunst.
Zeichnung, Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, Video, Sound. Sammlung Ringier 1995–2025, Langen Foundation, Neuss
Link zur OriginalveröffentlichungExotisch, hauchdünn und praktisch unverwundbar. Lackkunst überbrückt Kontinente, dient unterschiedlichsten Zwecken und macht das Leben schöner
Link zur OriginalveröffentlichungWenn der Satz »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit« (zugeschrieben Karl Valentin) eine Berechtigung hat, dann für die traditionsreiche Lackkunst – eine ›Allzweckwaffe‹ der Dekorationskunst, die Geräte und Gefäße, Möbel und Bilder verschönert. Bis zu 200 Schichten der harzhaltigen flüssigen Substanz müssen aufgetragen und unermüdlich poliert werden, um den charakteristischen Glanz zu erzielen und die Oberfläche (nahezu jedes Materials) praktisch unverwundbar zu machen.
Die Lackkunst, die in China seit mindestens 5000 Jahren praktiziert wird und sich von dort sowohl in Asien als auch nach Europa verbreitete, weist eine weite Streuung auf. Das gilt für Einsatzfelder und Motive, aber auch für die Dimensionen der mit Lack verzierten Objekte. Hier ist nahezu alles möglich. Ein mehrteiliger Stellschirm, der ein ganzes Palastszenario vor unseren Augen entfaltet, und Inro und Netsuke, die am Kimono-Gürtel baumeln, markieren die beiden Endpunkte der Größenskala.
Amsel, Drossel, Fink und Star: Das Museum für Gegenwartskunst Siegen präsentiert zeitgenössische Kunst aus der Vogelperspektive
Link zur OriginalveröffentlichungIn Annika Kahrs Video-Installation »Playing to the Birds« spielt ein Pianist Franz Liszts »Legende Nr. 1: Die Vogelpredigt des Franz von Assisi« vor einem ungewöhnlichen Publikum. Es besteht aus Singvögeln, die der Vorführung in Käfigen beiwohnen. Auf das virtuose Trillern der Klaviertasten reagieren sie – ganz anders als herkömmliche Konzertbesucher – mit lautem Zwitschern. So entsteht ein munterer Dialog zwischen Musik und Vogelgesang, zwischen Mensch und Tier. »Playing to the Birds« ist nun Teil einer ungewöhnlichen Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Dessen Direktor Thomas Thiel hat unter dem Motto »Für die Vögel« Arbeiten aus der eigenen Sammlung zu einer Themenschau zusammengefasst, die den Seh- und Hörsinn gleichermaßen anspricht. Knapp 20 ornithologisch relevante Kunstwerke sind vom 4. Juli bis 9. November zu erleben.
Absurder als jede Fiktion – Wang Bings Blick auf seine Gegenwart
Link zur OriginalveröffentlichungKann man einen Film drehen, der mehr als neun Stunden dauert, auf Action weitgehend verzichtet – und auf ein Drehbuch vollständig? Wang Bing wagte eben dies mit seinem 2003 erschienenen Debüt »Tie Xi Qu: West of the Tracks«. Heute zählt der in Paris lebende Chinese zu den wichtigsten Dokumentarfilmern und Fotografen der Gegenwart. Erfolg hat er auch in der Kunstszene. Im Grunde erstaunlich, denn mit Ausstellungen, bei denen die durchschnittliche Verweilzeit pro Exponat in der Regel auf ein paar Sekunden beschränkt ist, sind seine Marathonfilme eigentlich inkompatibel. Wang Bing nimmt aber keinen Anstoß daran, wenn das Kunstpublikum nur begrenzte Zeit vor seinen epischen Dokumentarstreifen verweilt. Das dürfte auch die vorherrschende Rezeptionsart bei seiner aktuellen Schau im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen sein. Dort läuft jetzt der zweite Teil seiner Werkübersicht »The Weight of the Invisible«.
Der Künstler als Umzugshelfer
Link zur OriginalveröffentlichungGregor Schneider, 2001 durch die Biennale-Installation »Totes Haus u r« ins Rampenlicht der Kunstszene gerückt, hat seine aktuelle Schau »Welcome« im Haus Esters, einem Außenposten der Kunstmuseen Krefeld, als Familien-Ausstellung angelegt. Und als Experiment im Spannungsfeld zwischen Moderne und Migration. Auf Einladung des Künstlers bezog die syrische Familie Aldaas, die seit 2015 in Deutschland lebt, vorübergehend ein geräumiges Interimsquartier im Erdgeschoss des Museums. Das Mobiliar erstand man gemeinsam – eine Vorstufe des Kunstprojekts, die Schneider durch Fotografien dokumentiert hat. Das finale Stadium allerdings gleicht einem Geisterhaus: Längst ist die Familie ausgezogen, längst wurden die Einrichtungsgegenstände entfernt. Übrig blieben lediglich einige Überbleibsel der Bewohner auf Zeit – vor allem in Gestalt von Tapeten, Vorhängen oder einem Koran-Vers als Wandschmuck. Ein Umzugsszenario, das als künstlerische Idee zugleich fasziniert und irritiert. Paradox vor allem, dass man von der Familie, die doch im Mittelpunkt dieser Inszenierung steht, nur eine schemenhafte Vorstellung gewinnt.
Von »Mamma Mia!« bis »Mutti« Merkel: Mütter stehen unter besonderer Beobachtung
Link zur OriginalveröffentlichungSelten wohl gab es eine Themenschau mit einem diverseren Spektrum. Gotische Mariendarstellungen, die Bronze »Mutter mit totem Sohn«, in der Käthe Kollwitz den Verlust ihres im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohnes Peter verarbeitete, Cover-Illustrationen von »Mutter Angela« (Merkel) im Stil von Mutter Teresa, das Heintje-Rührstück »Maaamaaaa, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen« sowie Oscar-Preisträger, die ihre Mutterliebe auf der Bühne hinausposaunen – all das und vieles mehr zeigt die Ausstellung »Mama. Von Maria bis Merkel«. Mit ihr greift der Kunstpalast Düsseldorf ein Thema auf, dessen Zielgruppe kaum größer gedacht werden kann – schließlich ist die Mutter in der Biographie beinahe jedes Menschen verwurzelt und spielt meist eine Schlüsselrolle.
Ausstellung Paula Rego im Essener Museum Folkwang: Böse Märchen, die Realität werden
Link zur OriginalveröffentlichungPaula Rego (1935–2022), die sich seit Mitte der 1970er-Jahre in ihrer Malerei verstärkt mit Märchen befasste, zeichnete ein Gegenbild zu den süßlichen Verfilmungen von Walt Disney, auf die sich ihre Werke wiederholt beziehen. Gewalt und das Böse, im Märchen durch Hexen, Stiefmütter oder Wölfe verkörpert, zogen Rego zeitlebens in den Bann. Das gilt nicht nur für die Welt der Märchen, sondern auch – und mehr noch – für die Sphäre der Wirklichkeit. Gewalt (vor allem gegen Frauen), Diktatur, Armut, Machtmissbrauch, Unterdrückung und andere Widrigkeiten sind allgegenwärtig in den figürlichen Darstellungen, in denen uns die Welt vornehmlich als Jammertal begegnet.
Paula Regos politisch engagierte Malerei lässt wohl niemanden kalt, der die Werkübersicht der britisch-portugiesischen Künstlerin im Museum Folkwang besucht. Rund 130 Gemälde, Pastelle und Druckgrafiken werden gezeigt, Bilder, die aufrütteln, teils auch schockieren – und die großartig gemalt sind.
Dieser Amour fou mit raschem Verfallsdatum entsprangen unvergängliche Meisterwerke
Link zur OriginalveröffentlichungWas die Trias »Geliebte, Muse, Modell« angeht, kann die Kunstgeschichte mit einigen schillernden Konstellationen aufwarten. Auguste Rodin und Camille Claudel, Gustav Klimt und Emilie Flöge, Pablo Picasso und Dora Maar – sie und andere illustre Paare verkörpern den Bund von Leben und Kunst. Doch schwerlich wird man eine Beziehung finden, die so intensiv, künstlerisch ertragreich und zugleich von Widersprüchen geprägt war wie die Liaison zwischen Oskar Kokoschka und Alma Mahler. In Gemälden, Zeichnungen, sieben als Geschenk an Alma übereigneten Fächern und einer Puppe hat der Künstler diese Amour fou zum Gegenstand eines grandiosen künstlerischen Liebestaumels gemacht. Diesem widmet das Museum Folkwang in Essen eine kleine, aber unbedingt sehenswerte Ausstellung. Eingebunden ist die Schau in das Festival «Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne».
Mehr als menschlich: Johann Heinrich Danneckers Schiller-Büste im Lichte von Ingolf Timpners Skulpturen-Portrait
Link zur OriginalveröffentlichungEine Schiller-Porträtbüste, die auf den schwäbischen Klassizisten Johann Heinrich Dannecker zurückgeht, inspirierte Ingolf Timpner zu einer seiner ›Lichtgestalten‹. 2014 schuf der Düsseldorfer Fotokünstler (1963–2018) diese Serie. Ein Jahr später wurde sie in einer Ausstellung des Christian Daniel Rauch-Museums im nordhessischen Bad Arolsen gezeigt. Dem Dichter, der am 9. Mai 1805 (also vor 220 Jahren) im Alter von nur 46 Jahren das Zeitliche segnete, um «überm Sternenzelt» beim «lieben Vater» zu wohnen, hat Timpner mit der Kamera eine Hommage dargebracht. Obwohl seine hybriden Bilder der ›Lichtgestalten‹, in denen Porträts porträtiert werden, als Beitrag zur zeitgenössischen Porträtfotografie kenntlich sind, versteht es der Künstler in bester klassizistischer Manier, zu Wesentlichem vorzudringen, vielleicht sogar zum Wesen der Dargestellten.
Ausstellung in Duisburg: »Mechanik und Menschlichkeit. Eva Aeppli und Jean Tinguely zum 100. Geburtstag«
Link zur OriginalveröffentlichungUnter jenen Paaren, die Kunst und Leben miteinander teilen, gehören Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely zu den bekanntesten Doppelspitzen. 1956 lernten sie sich in Paris kennen. 1971 schlossen sie den Bund fürs Leben, der erst mit dem Tod des Schweizer Maschinenvisionärs 1991 endete. Eva Aeppli, Tinguelys Ehefrau von 1948 bis 1960, musste sowohl als Mensch wie als Künstlerin mit der zweiten Reihe vorliebnehmen, weil das Glamourduo der Nouveaux Réalistes das Gros der Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Lehmbruck Museum lässt der Schweizerin nun späte Gerechtigkeit widerfahren. Nicht als Solistin, sondern im Zusammenspiel mit Tinguely begegnet uns Eva Aeppli in Duisburg als eine bemerkenswerte Künstlerin, deren Puppenkosmos existenziell berührt. Vanitas-Motive prägen jene wenig bekannten späten Gemeinschaftswerke, von denen das Lehmbruck Museum neun Beispiele zeigen kann. Hier finden die mechanischen Skulpturen Tinguelys und die ausdrucksstarken Figuren Aepplis zu einer Allianz zusammen, die das Groteske in der Kunst feiert.