Der Künstler als Umzugshelfer

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 13. Juni 2025
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Gregor Schneider, 2001 durch die Biennale-Installation »Totes Haus u r« ins Rampenlicht der Kunstszene gerückt, hat seine aktuelle Schau »Welcome« im Haus Esters, einem Außenposten der Kunstmuseen Krefeld, als Familien-Ausstellung angelegt. Und als Experiment im Spannungsfeld zwischen Moderne und Migration. Auf Einladung des Künstlers bezog die syrische Familie Aldaas, die seit 2015 in Deutschland lebt, vorübergehend ein geräumiges Interimsquartier im Erdgeschoss des Museums. Das Mobiliar erstand man gemeinsam – eine Vorstufe des Kunstprojekts, die Schneider durch Fotografien dokumentiert hat. Das finale Stadium allerdings gleicht einem Geisterhaus: Längst ist die Familie ausgezogen, längst wurden die Einrichtungsgegenstände entfernt. Übrig blieben lediglich einige Überbleibsel der Bewohner auf Zeit – vor allem in Gestalt von Tapeten, Vorhängen oder einem Koran-Vers als Wandschmuck. Ein Umzugsszenario, das als künstlerische Idee zugleich fasziniert und irritiert. Paradox vor allem, dass man von der Familie, die doch im Mittelpunkt dieser Inszenierung steht, nur eine schemenhafte Vorstellung gewinnt.

Von »Mamma Mia!« bis »Mutti« Merkel: Mütter stehen unter besonderer Beobachtung

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 8. Juni 2025
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Selten wohl gab es eine Themenschau mit einem diverseren Spektrum. Gotische Mariendarstellungen, die Bronze »Mutter mit totem Sohn«, in der Käthe Kollwitz den Verlust ihres im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohnes Peter verarbeitete, Cover-Illustrationen von »Mutter Angela« (Merkel) im Stil von Mutter Teresa, das Heintje-Rührstück »Maaamaaaa, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen« sowie Oscar-Preisträger, die ihre Mutterliebe auf der Bühne hinausposaunen – all das und vieles mehr zeigt die Ausstellung »Mama. Von Maria bis Merkel«. Mit ihr greift der Kunstpalast Düsseldorf ein Thema auf, dessen Zielgruppe kaum größer gedacht werden kann – schließlich ist die Mutter in der Biographie beinahe jedes Menschen verwurzelt und spielt meist eine Schlüsselrolle.

Ausstellung Paula Rego im Essener Museum Folkwang: Böse Märchen, die Realität werden

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 6. Juni 2025
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Paula Rego (1935–2022), die sich seit Mitte der 1970er-Jahre in ihrer Malerei verstärkt mit Märchen befasste, zeichnete ein Gegenbild zu den süßlichen Verfilmungen von Walt Disney, auf die sich ihre Werke wiederholt beziehen. Gewalt und das Böse, im Märchen durch Hexen, Stiefmütter oder Wölfe verkörpert, zogen Rego zeitlebens in den Bann. Das gilt nicht nur für die Welt der Märchen, sondern auch – und mehr noch – für die Sphäre der Wirklichkeit. Gewalt (vor allem gegen Frauen), Diktatur, Armut, Machtmissbrauch, Unterdrückung und andere Widrigkeiten sind allgegenwärtig in den figürlichen Darstellungen, in denen uns die Welt vornehmlich als Jammertal begegnet.

Paula Regos politisch engagierte Malerei lässt wohl niemanden kalt, der die Werkübersicht der britisch-portugiesischen Künstlerin im Museum Folkwang besucht. Rund 130 Gemälde, Pastelle und Druckgrafiken werden gezeigt, Bilder, die aufrütteln, teils auch schockieren – und die großartig gemalt sind.

Dieser Amour fou mit raschem Verfallsdatum entsprangen unvergängliche Meisterwerke

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 31. Mai 2025
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Was die Trias »Geliebte, Muse, Modell« angeht, kann die Kunstgeschichte mit einigen schillernden Konstellationen aufwarten. Auguste Rodin und Camille Claudel, Gustav Klimt und Emilie Flöge, Pablo Picasso und Dora Maar – sie und andere illustre Paare verkörpern den Bund von Leben und Kunst. Doch schwerlich wird man eine Beziehung finden, die so intensiv, künstlerisch ertragreich und zugleich von Widersprüchen geprägt war wie die Liaison zwischen Oskar Kokoschka und Alma Mahler. In Gemälden, Zeichnungen, sieben als Geschenk an Alma übereigneten Fächern und einer Puppe hat der Künstler diese Amour fou zum Gegenstand eines grandiosen künstlerischen Liebestaumels gemacht. Diesem widmet das Museum Folkwang in Essen eine kleine, aber unbedingt sehenswerte Ausstellung. Eingebunden ist die Schau in das Festival «Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne».

Mehr als menschlich: Johann Heinrich Danneckers Schiller-Büste im Lichte von Ingolf Timpners Skulpturen-Portrait

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 30. Mai 2025
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Eine Schiller-Porträtbüste, die auf den schwäbischen Klassizisten Johann Heinrich Dannecker zurückgeht, inspirierte Ingolf Timpner zu einer seiner ›Lichtgestalten‹. 2014 schuf der Düsseldorfer Fotokünstler (1963–2018) diese Serie. Ein Jahr später wurde sie in einer Ausstellung des Christian Daniel Rauch-Museums im nordhessischen Bad Arolsen gezeigt. Dem Dichter, der am 9. Mai 1805 (also vor 220 Jahren) im Alter von nur 46 Jahren das Zeitliche segnete, um «überm Sternenzelt» beim «lieben Vater» zu wohnen, hat Timpner mit der Kamera eine Hommage dargebracht. Obwohl seine hybriden Bilder der ›Lichtgestalten‹, in denen Porträts porträtiert werden, als Beitrag zur zeitgenössischen Porträtfotografie kenntlich sind, versteht es der Künstler in bester klassizistischer Manier, zu Wesentlichem vorzudringen, vielleicht sogar zum Wesen der Dargestellten.

Ausstellung in Duisburg: »Mechanik und Menschlichkeit. Eva Aeppli und Jean Tinguely zum 100. Geburtstag«

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 26. Mai 2025
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Unter jenen Paaren, die Kunst und Leben miteinander teilen, gehören Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely zu den bekanntesten Doppelspitzen. 1956 lernten sie sich in Paris kennen. 1971 schlossen sie den Bund fürs Leben, der erst mit dem Tod des Schweizer Maschinenvisionärs 1991 endete. Eva Aeppli, Tinguelys Ehefrau von 1948 bis 1960, musste sowohl als Mensch wie als Künstlerin mit der zweiten Reihe vorliebnehmen, weil das Glamourduo der Nouveaux Réalistes das Gros der Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Lehmbruck Museum lässt der Schweizerin nun späte Gerechtigkeit widerfahren. Nicht als Solistin, sondern im Zusammenspiel mit Tinguely begegnet uns Eva Aeppli in Duisburg als eine bemerkenswerte Künstlerin, deren Puppenkosmos existenziell berührt. Vanitas-Motive prägen jene wenig bekannten späten Gemeinschaftswerke, von denen das Lehmbruck Museum neun Beispiele zeigen kann. Hier finden die mechanischen Skulpturen Tinguelys und die ausdrucksstarken Figuren Aepplis zu einer Allianz zusammen, die das Groteske in der Kunst feiert.

Von Höckchen nach Stöckchen: Zum 100. Geburtstag von Hanns Dieter Hüsch

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 12. Mai 2025
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Über Gott und die Welt räsonieren und reden, das konnte niemand so gut, so klug, kurzweilig und witzig wie Hanns Dieter Hüsch. Mehr als 50 Jahre stand der Kabarettist auf der Bühne. Beileibe nicht sein einziges Aktionsfeld. Er selbst charakterisierte sein Tun vorzugsweise als Kleinkunst. Doch die betrieb Hüsch im großen Stil: als Liedermacher und Schauspieler, Clown und Prediger, Poet und Philosoph, als Sprachrohr der kleinen Leute, als Schriftsteller, Rundfunkmoderator und Synchronsprecher (so lieh er den Stummfilm-Komödien »Dick und Doof« und »Pat & Patachon« seine Stimme). Vor 100 Jahren wurde der Künstler in Moers geboren – das wird in seiner Heimatstadt ausgiebig gefeiert.

Hanns Dieter Hüsch: der Philosoph der Heiterkeit

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 6. Mai 2025
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Am 6. Mai 1925 wurde Hanns Dieter Hüsch geboren. Der Kabarettist war ein Meister der Kleinkunst, versiert auf vielen Feldern. Mehr als ein halbes Jahrhundert tourte Hüsch durch die Lande. Über 70 Kabarettprogramme hat die »Rampensau«, wie er sich selbst bezeichnete, bis 2001 präsentiert. Dabei blieb Hüschs Kompass stets auf Moers ausgerichtet. Den Schauplatz seiner niederrheinischen Komödie, in der so viele Figuren auftauchten, dass man leicht den Überblick verlor. Wer die weitverzweigten Verwandtschaftsverhältnisse aufdröseln will, kommt »vom Höckchen aufs Stöckchen«, wie der Rheinländer sagt. Mit hintergründigem Humor hat Hanns Dieter Hüsch seiner Sippschaft ein Denkmal gesetzt, ohne die Schwächen dieses Menschenschlags auszublenden: »Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiss nix, kann aber alles erklären. Umgekehrt: Wenn man ihm etwas erklärt, versteht er nichts, sagt aber dauernd: Is doch logisch.« Doch gerade diese Unzulänglichkeiten waren es, die Hüsch nicht bloß liebte, sondern mit denen er sich identifizierte. Gegen Heimattümelei war er schon deshalb gefeit, weil er die Region zwischen Emmerich und Düsseldorf als exemplarischen Ort für Menschliches, Allzumenschliches empfand: »Überall ist Niederrhein«, wusste Hüsch.

Der Vergänglichkeit trotzen, die Zukunft sichern. Künstlernachlässe sind selten glamourös, besetzen aber auf der Agenda des Kunstbetriebs einen immens wichtigen Platz

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 5. Mai 2025
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»Ewig währt am längsten« – der satirische Satz von Kurt Schwitters wirft ein Schlaglicht auch auf das Phänomen Künstlernachlass. Schließlich macht der demographische Wandel vor der Kunstwelt nicht Halt: Immer mehr Künstlerinnen und Künstler werden immer älter. Weil Kreativität kein Verfallsdatum kennt, verspürt kaum einer von ihnen Lust auf Ruhestand. Deshalb wächst die künstlerische Hinterlassenschaft, deshalb rückt das Thema Nachlass immer stärker in den Blickpunkt von Kunst, Kultur und Gesellschaft. Die Dokumente, die das künstlerische Schaffen bezeugen und begleiten, sind die eine Seite der Medaille; die andere ist die Kunst selbst. Beiden gerecht zu werden, kann sich in Einzelfällen als Herkulesaufgabe erweisen.

Glatt, glänzend, gleichmäßig: Ausstellung »Faszination Lack – Kunst aus Asien und Europa« in Münster

Erschienen in: {mb_texte_texte_erschienen-in} | 24. April 2025
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Vasen, Geschirr, Gefäße für Zeremonien, Möbel, Nadeletuis, ja sogar die Paneele einer barocken Kutsche – Lackkunst kommt in unterschiedlichsten Zusammenhängen zur Anwendung und veredelt Kunst und Alltag. Der Stammbaum dieser bis heute praktizierten Spielart des Kunsthandwerks ist ebenso altehrwürdig wie weitverzweigt: Von China aus verbreitete sich die Lackkunst zunächst nach Japan und in andere asiatische Länder, später in den arabischen Raum und seit dem 16. Jahrhundert nach Europa. Ein frühes Beispiel für Globalisierung. Hierzulande waren die sogenannten Exportlacke beliebter Bestandteil der Chinoiserien. Sie markieren einen Schwerpunkt der Sonderausstellung »Faszination Lack – Kunst aus Asien und Europa«, die nun im LWL-Museum für Kunst und Kultur zu sehen ist. Dass sich Lackobjekte, die zu Unrecht immer noch weithin in der Nische des Kunsthandwerks verortet werden, hinter Gemälden und Skulpturen nicht zu verstecken brauchen, davon kann man sich nun in Münster überzeugen.